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  • Tim ist 19, er ernährt sich seit einigen Monaten vegan. Wegen geringer Kochkünste und Anforderungen beschränkt sich sein Alltagsessen oft auf Nudeln mit Tomatensauce, Brot mit Hummus, Instant Kaffee mit Sojamilch.
    Er engagiert sich bei Greenpeace, regt gerne im nicht-veganen Freundeskreis zu Diskussionen über Ernährung, Weltklima und Ausbeutung an.
    Manchmal am Wochenende, wenn er mit seinen Freunden die Nacht an sich vorbei ziehen lässt, sieht man ihn mit einem Bier in der rechten und einem fetten Stück Käsepizza in der linken, lachend auf einer Bank. Morgens belächeln ihn seine Freunde; „Und Tim, wie gehts dir heute? Käse ist wohl doch nicht so übel, hat dich wohl das Bier dran erinnert. Betrunkene lügen nicht!“
  • Luise, 21, lebt seit ihrem 17. Lebensjahr vegan. Aus voller Überzeugung recherchierte sie viel, ist noch heute immer auf der Suche nach dem neusten veganen Trend Produkt. Sie entdeckt für ihr Leben gerne neue vegane Restaurants in fremden Städten, ihr Kühlschrank ist gefüllt mit Gemüse, Sojajoghurts, Reismilch, veganen Aufstrichen und: Eiern, Käse und Lachs des Mitbewohners.
    Ihre Freunde bestaunen regelmäßig, wie viel Geld sie doch für das frische, gesunde Essen ausgeben muss. „So toll würde ich mich auch gerne ernähren. Du bist so konsequent und man sieht dir das auch echt an.“
    Luise wechselt sich mit ihrem Mitbewohner mit dem Kochen ab. Mal gibt es vegane Gerichte, mal schummelt der Mitbewohner, im Wissen Luise’s, ein Ei mit herein oder lädt sie auf seinen Lieblingsnachtisch, Magnum aus dem Supermarkt, ein. Sie fühlt sich großartig, lernt täglich wieder neues über vegane Produkte. Vor ihren Freunden behält sie lieber ihr „100%-Vegan“ Image. Ganz oder gar nicht verstehen sie eher.
  • Dann gibt es noch Carla. Mit ihren 24 Jahren hat sie einen recht minimalistischen Haushalt, kauft wenig und wenn, dann wichtiges. Sie lebt mir ihrem Hund am Stadtrand im Haus ihres verstorbenen Großvaters.
    In ihrem Garten befindet sich neben ihrem Gemüsebeet der Hühnerstall. Seit Generationen versorgt dieser das Haus und die kleine Nachbarschaft mit frischen Eiern. Nun lehnt Carla seit einigen Wochen streng alle tierischen Nahrungsmittel ab, seit sie eine tragische Dokumentation gesehen hat. Täglich sieht sie sich nun mit dem Hühnerstall und dem Verkauf der Eier mit ihrem Gewissen konfrontiert. Dennoch wird sie die Hühner weiterhin pflegen und hofft, dass sie nun auch die Eier verkaufen kann, die sie selbst nicht mehr essen möchte.

Morgens wachen wir auf. Beginnen jeder für uns den Tag. Setzen uns eigene Ziele, fühlen jeder eigne Schranken, übertreten andere Grenzen, fühlen Emotionen anders.
Einige setzen sich nicht nur Ziele für ihre eigene, sondern für unsere Welt.
Sie erkennen Missstände und wollen sie bekämpfen. Sie lesen sich in Themen ein, engagieren sich abends nach der Arbeit oder Studium in Organisationen, fördern den Austausch. Einige widmen jede Minute ihres Lebens den Problemen von Anderen.
Es ist dabei immer die eigene Zeit, die man aufgibt um sie jemand anderem, etwas anderem zu schenken.
Die eigene Priorität stellt sich hinter eine neue „eigene“, hinter etwas Größeres als man es selbst je sein kann.

Was hat es mit den Geschichten auf sich?
Tim, Luise und Carla sind alle „vegan“. Jeder von ihnen sieht sich, mehr oder weniger, konfrontiert mit der Bewertung von Außen, für das was sie tun. Alle trauen sich keine Fehler zu.

Sie alle haben sich zu einer Möglichkeit, die Welt zu verbessern, entschieden. Doch nicht für sich selbst, doch ganz bestimmt nicht für das Label ‚vegan‘ und ganz bestimmt doch nicht dafür, dass die Anderen aufpassen, ob sie dieses Label korrekt vertreten.
Sie alle sind gefangen in einer radikalen Auffassung, die viel weiter reicht als Ernährungsgewohnheiten.
Man ist religiös, oder man ist es nicht. Man ist rechts oder man ist links. Man ist sportlich, schlank und durchtrainiert oder man ist es nicht. Man ist glücklich oder man ist es nicht.

Ist Carla die beste, vielleicht sogar die einzige richtige Veganerin?
Womöglich selbst sie nicht, wie kann sie nur einen Hund und Hühner halten und damit diese Art der Tierhaltung unterstützen? Weiß sie überhaupt, was sie da tut?
Und Tim, wirklich, der nennt sich vegan? Das ist albern, das will er doch nur sein. Will sich besser fühlen, aber machen, tut er nichts. Er lebt doch bloß in seiner Scheinwelt des Engagierens.
Luise ist wohl die Schlimmste. Wie kann sie nur ihren Freunden vorleben, dass sie sich so großartig ernährt und dann fast täglich Ausnahmen macht, sich vor ihrer Entscheidung drücktSoll sie doch gleich einfach Vegetarierin bleiben.

Augen auf für das Wichtige

Es ist ein Thema, welches ich so weit ausführen könnte, dass es den Rahmen dieser Webseite sprengen würde.
Heute ist mir nur eins wichtig: Mich zu erklären, nicht mich zu rechtfertigen.
Raum zu schaffen für Fehler und für Kleinigkeiten.
Für Chancen, fürs Entdecken.
Um Wege zu zeigen, die einfach sind, die uns nicht erschlagen und uns gleichzeitig Verantwortung tragen lassen. 

Der Header auf diesem Blog, auf meiner Instagram Seite, hat sich von „vegan lifestyle“ über plantbased zu natural lifestyle geändert.
Was als Einordnung für neue Gesichter dienen darf, ist doch meistens eher eine Einschränkung: „Wenn Du auf deinem Blog Grundsätze des veganen Lebensstil vertrittst, dann musst Du auch in jeder Hinsicht diese Person sein. Du musst unantastbar sein.“
Das gilt bei diesem Label fast so sehr wie Sportbegeisterte damit zu kämpfen haben, dass sie „doch gar nicht sportlich aussehen“ und es sich damit einfach nicht gehört, dass sie über ihre Alltagsliebe berichten.
Das ist doch schade. 

Ich bin nicht vegan, damit ich dieses Wort für mich benutzen darf, Du aber mit deinem Spiegelei zum Frühstück, Du mit deiner Schuhen von Adidas darfst es nicht. Du, mit deiner Nivea Creme und deinem Chanel Parfum darfst es nicht.

80% meiner Ernährung und Lebensweise sind nach wie vor vegan. Mir schmeckt kein Käse (mehr), ich kann mir nicht vorstellen meine Pflanzendrinks gegen Kuhmilch einzutauschen und von Fleisch und Fisch fangen wir gar nicht erst an.
Und doch, nach über 5 Jahren „konsequentem“ Veganismus, der es doch nie wirklich war, lebe ich jetzt „irgendwie“.
Irgendwie ist genau das, was ich gerne esse.
Ist genau das, was mir genau in dem Moment als richtig, vernünftig und manchmal auch einfach nur lecker vorkommt.
Es ist nicht willkürlich. Es ist nicht einfach irgendwas.
Nach wie vor ist es vor allem eins: bewusst.
Aber ich habe keine Lust mehr, mich dafür rechtfertigen zu müssen,
was ich dann und wann mal esse, oder ob ich ‚ganz oder gar nicht‘ bin, oder ob Du etwas schlechter oder am Ende sogar besser als ich machst.

Wir sind doch alle nur Menschen

Der Punkt ist: Wir brauchen keine Aufpasser für die Starken, die Kämpfer, die täglich ihr Bestes geben. Sei es nur für sich selbst.

Vielleicht wissen wir selbst noch nicht, wo es hingehen soll. Wir brauchen Raum zum Weiterentwickeln, zum Trauen. Raum für Fehler. 
Wir brauchen wirklich Menschen, die das größere Ganze im Hinterkopf behalten, die uns gestatten, an uns selbst zu glauben.
Nur eins sollten wir wirklich: Menschen werden, die unterstützen und bewusst Verantwortung übernehmen.

Ich sehe mich nicht als Vegetarier, aber vegan per Definition bin ich auch nicht.
Ich suche in fremden Städten nach veganen Restaurants, lege den Käse von meinen spanischen Tapas liebevoll meinem Freund und Tischnachbarn auf den Teller, ich trinke lieber einen Tee als mir eine Kaffee oder Chai mit Kuhmilch bestellen zu müssen. Ich kann dir innerhalb von 5 Minuten einen Haufen an super überzeugenden Argumenten für veganes Essen liefern. Direkt aus meinem Herzen.
„Aber“: Ich esse durchschnittlich einmal die Woche ein Eis.
Und es ist: einfach ein Eis. Dass ich damit nicht alle meine Prinzipien unterstütze, mich plötzlich nicht mehr gegen die Tierindustrie wende, sondern voll von ihr profitiere, lässt mein feinsäuberlich erbautes Gerüst des Bewusstseins nicht einkrachen.
Es lässt mich mein Leben, den Moment und einfach nur mein Eis mit Freunden genießen. Weil ich nur ein Mensch bin mit Gelüsten und albzählbaren Schokoladeneis-Momenten. Wie du.

Lass mal an uns selbst glauben.

Es ist Deine Zeit, die Du widmest. Deine Kraft, die du gibst. Deine Entscheidung jeden Morgen.
Lass dir nicht reinreden, ob das gut genug oder das Richtige ist.
Vergleich dich nicht. Scher dich nicht um Bewertungen von Außen. Vergiss dich nicht.

Lasst mir ruhig Eure freundliche Meinung dazu in den Kommentaren 😉 ♥

 

 

 

6 Replies to “Leben in Balance // Wieso ich nicht mehr ‚vegan‘ bin”

  1. Sophie says: 11. Mai 2018 at 15:57

    Wow, ich finde es richtig toll das es endlich mal einer ausspricht und sagt wie es ist.
    Der Beitrag ist wirklich sehr toll! Wird gleich erst mal geteilt!!!!

  2. HOW TO // Simple Tipps für mehr Nachhaltigkeit • hannicoco. says: 29. Mai 2018 at 7:07

    […] Menschenverachtendes Unternehmen, da macht die Plastiktüte auch nichts mehr aus.” Schon in meinem letzten Blogbeitrag forderte ich zu mehr Gelassenheit, Mut und weniger ‘Entweder-Oder’ […]

  3. Malika says: 31. Mai 2018 at 15:20

    Ich bin über Luise von Kleinstadtcarrie hier und muss sagen, du triffst es auf den Kopf! Balance finde ich so unglaublich wichtig, was nicht heißt, dass ich alles immer mal wieder esse, sondrn vor allem, dass ich mir nichts verbiete und mir Vorwürfe mache/mich schäme, wenn ich ernährungstechnisch etwas mache, was andere mir vorwerfen. Danke für diesen Artikel♥

    1. hannicoco says: 1. Juni 2018 at 15:02

      Liebe Malika,

      vielen Dank für deine lieben Worte! Freut mich zu hören, dass nicht nur ich so empfinde.

      Liebste Grüße an dich
      deine Johanna

  4. Laura says: 29. August 2018 at 18:28

    Der Post spricht mir aus der Seele, man traut sich kaum mehr beim Grillen mit Freunden doch mal ein Stück Kräuterbaguette zu essen oder beim Kuchen den jemand mit gebracht hat zuzugreifen. „Bist du nicht vegan?“ heißt es dann gleich.
    Wenn ich es dann probiere zu erklären von wegen wenn ich mich zu 90% vegan ernähre ist das immer noch besser als nichts, werde ich schon nicht mehr Ernst genommen, nach dem Motto dann lass es doch gleich bleiben wenn du es nicht geschissen bekommst.
    Balance, Gesundheit, Unbeschwertheit und sich einfach wohl fühlen ist für mich das Wichtigste!
    Ganz liebe Grüße <3

  5. kleinemarla says: 14. Februar 2020 at 13:46

    Heyhey,

    bin grade durch Zufall auf deinen Blog gestoßen, finde die Beiträge super, vor allem deine Kolumne. Sehr interessante Themen.
    Kommentar zu diesem Beitrag – sehr ehrlich und sehr wertvoll: es müssen nicht immer die 100% sein, warum ist allen immer das „ganz oder gar nicht“ so wichtig? Das Bewusstsein und das Gleichgewicht ist ausschlaggebend. Habe letztens auch einen Beitrag dazu verfasst.. Das was verwerlich ist, sind Ignoranz und Verachtung. Man brauch nicht sein komplettes Leben umkrempeln nur um alles „richtig“ zu machen.

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